Michelle Laux
2013: Briefe austragen in Paris; Erfahrungsbericht (09.09.13-30.09.13)
Mein erster Arbeitstag begann „erst“ um sieben Uhr morgens, und nicht wie an allen anderen Tagen üblich um 6.30 Uhr, da es ein Montag war und es aufgrund des vergangenen Wochenendes normalerweise weniger Post gibt. Nach einer sehr freundlichen Begrüßung wurde ich gleich zu meinem Arbeitsplatz, einem Schreibtisch mit Regal und sehr vielen Fächern geführt. Schon ging es ans Briefesortieren, anschließendem Pakete- und Postwagenpacken. Schließlich musste bereits eine Stunde später alles fertig sein, damit die großen Firmen und Häuser, die von einem Concierge geführt wurden, beliefert werden konnten. Ein spannender Höhepunkt des Tages war das Entgegennehmen der Einschreiben. Wie viele sind es wohl heute? Nur neun oder gar über 30? Je nachdem war man entsprechend länger oder kürzer beschäftigt. An meinem ersten Tag wurde ich noch von einem Kollegen, der sich „FIFI“ nannte, und dem Bild eines französischen Bilderbuch-Postboten entspricht, begleitet. Dieser sah in seinem Aufgabenbereich nicht nur das einfache Briefezustellen, sondern auch, sich um das seelische Wohl der Bewohner seiner Straßen zu kümmern. So besuchten wir beispielsweise Madame Dupont, 87 Jahre alt, die ihn vorher auf dem Handy angerufen hatte, weil sie ihr Bett nicht alleine umstellen konnte. Als die alte Dame uns aus Dankbarkeit für die Hilfe zum selbst gekochten Mittagessen einladen wollte und wir leider wegen Zeitmangels ablehnen mussten, fing sie bitterlich an zu weinen.Ich fand es einerseits sehr traurig, sie so einsam zu sehen, war aber andererseits auch gerührt, als mir bewusst wurde, welche soziale Funktion ein Briefträger einnehmen kann. Natürlich besuchte FIFI Madame Dupont noch nach Feierabend, wie jeden Nachmittag - wie er mir am nächsten Morgen erzählte. Mein zweiter Arbeitstag, an dem ich dann plötzlich auf mich alleine gestellt war, war es um es kurz zu sagen, eine Katastrophe. Hätte mir eine Kollegin nicht nach Beenden ihrer Runde noch geholfen, wäre die Post sicherlich erst zur Abendessenszeit zugestellt worden. Aber da Übung ja bekanntlich den Meister macht, wurde ich von Tag zu Tag schneller und konnte mich demnach in der zweiten Woche schon zum Tee von den Bewohnern einladen lassen. Sowohl die Mitarbeiter auf der Poststelle als auch die Menschen meines Viertels waren dermaßen freundlich zu mir, dass ich mich jeden Tag auf die Arbeit freute. Für mich war es auf ganzer Linie eine Erfahrung, die ich jedem nur ans Herz legen kann.